Abstammung (Vorfahren, Eltern)
Seiner Abstammung nach ist der Schriftsteller Carl Faustin Klostermann im Böhmerwald tief verwurzelt. Den Familiennamen „Klostermann“ gab es im Böhmerwald seit frühester Zeit; so findet er bereits in der ersten Hälfte des 16. Jh. Erwähnung
in der sog. „Klostermühle“ (zuerst klösterliche Mühle, dann Glashütte), die zu Unterreichenstein an der Wottawa gehört. Die Klostermühle war ursprünglich im Besitz des Klosters Windberg, das am Anfang der Besiedlung dieses Gebietes stand. Der Zuname „Klostermann“ könnte etwa einen Mann bezeichnen, der sich zu einem Klostergut in einem Besitzer- oder Abhängigkeitsverhältnis befand. In der Klostermühle, ebenso in der Gemeinde Unterreichenstein sowie in Innergefield erhielt
sich der Name „Klostermann“ bis zur Vertreibung der deutschstämmigen Bevölkerung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. (In Unterreichenstein wirkte der jüngste Bruder des Schriftstellers, Jakob, als Pfarrer und ist neben der Mutter, Charlotte Klostermann, auf dem dortigen Friedhof beigesetzt.)
Aus Unterreichenstein stammte ein Vorfahre des Dichters, nämlich Gregor Klostermann, der 1670 einen Hof in Innergefild kaufte und dort ansässig wurde. Nach dessen Sohn Daniel nannte sich dieses Anwesen bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges „Danielhof“. In der nahegelegenen Rankl-Au stand der Hof des Josef Klostermann, genannt „Rankl-Sepp“, der eine hünenhafte Erscheinung (2 Meter) war und dem Dichter in seinem Roman „Im Böhmerwaldparadies“ als Gegenpol zum geckenhaft-protzigen Hammer-Bauern diente. Daniel Klostermanns Enkel Josef aus Innergefild, der spätere Großvater des Dichters, ließ sich auf dem „Wurmbauernhof“ in Unter-Schlösselwald nieder, nachdem er die von dort stammende Anna-Maria Weber geehelicht und somit ins begehrte künische (königliche) Freigebiet eingeheiratet hatte. Der Hof befand sich bis 1945 rechts der Straße von Rehberg nach Mader und gehörte zum künischen Freigericht „Stadler Anteil – Rehberg“ und war eines der größten Anwesen in dieser künischen Gemeinde. Großvater Josef war dort lange Jahre Freirichter, obwohl er weder lesen noch schreiben konnte. Um die schulische Bildung seiner Kinder kümmerte er sich nicht; diese Aufgabe lastete auf seiner Frau. Die sorgte dafür, dass der jüngste Sohn, mit Namen Josef (wie der Vater), die neu entstandene Schule in Sattelberg bei Rehberg sowie später das Gymnasium besuchen konnte.
Über die Eltern schreibt Karl Klostermann in seiner Autobiografie:
„Mein Vater war der Sohn eines echten Böhmerwaldbauern aus dem königlichen Freigericht Stadler Anteil, I. Teil, aus Schlösselwald, Pfarrei Rehberg, Gerichtsbezirk Bergreichenstein, Bezirkshauptmannschaft Schüttenhofen. Er besuchte das Gymnasium in Klattau, studierte in Prag und an der Universität in Wien, wo er im Jahre 1841 zum Doktor der Medizin promovierte. Danach ließ er sich in Deffernik im Böhmerwald als Betriebsarzt in den großen Glashütten der Brüder Abele nieder.“
(Anmerkung: Die Abeles waren Ende des 17. Jh. aus den Ardennen wegen der dort herrschenden religiösen Unruhen in den Böhmerwald gekommen, wo sie die Glasfabrikation in beachtlicher Weise hoben.) „Aus diesem Geschlecht stammt meine Mutter, mit der sich der Vater im Jahre 1844 vermählte und nach Haag in Oberösterreich übersiedelte, wo meine Großmutter mütterlicherseits, eine geborene Abele und verehelichte Hauer, in der Nähe auch eine große Glashütte besaß. Dort kam ich
am 13. Februar 1848 zur Welt, doch bereits im darauffolgenden Jahr zogen meine Eltern von dort weg und kehrten in den Böhmerwald zurück, nach Schüttenhofen, wo mein Vater bis 1854 als praktischer Arzt wirkte.“
Noch mehrmals wechselte Dr. Josef Klostermann mit seiner Familie den Wohnort und Wirkungskreis: 1854 - 1857 war er herrschaftlicher Arzt im Dienst des Grafen Gustav von Lamberg in Žichovice bei Rábi, 1857 - 1860 wiederum Arzt in Schüttenhofen, 1860 - 1862 herrschaftlicher Arzt bei Fürst Windischgraetz in Štěken. Schon nach zwei Jahren, 1862, übersiedelte man in die königliche freie Goldbergstadt Bergreichenstein, wo Josef Klostermann die Stelle des Bezirksarztes bekam und wo er schließlich im November 1875 im Alter von 61 Jahren verstarb. Die große Familie, Karl war das älteste von zehn Kindern, konnte sich nur unter Schwierigkeiten fortbringen. Die Witwe Charlotte Klostermann, Enkelin des Glasfabrikanten Abele, erreichte ein hohes Alter; sie starb 81-jährig am 23. September 1903 und überlebte somit ihren Mann um 28 Jahre.
Kindheit, Schulzeit
Was die Erziehung Karl Klostermanns betrifft, hatte der wiederholte Wohnsitzwechsel keine besonderen Auswirkungen, da Karl von seinem siebten Lebensjahre an immer nur die Ferienzeit bei den Eltern verbrachte. Über die Schulzeit erfahren wir in der Autobiografie: „Da wir zu der Zeit, als ich die Schule besuchen sollte, in Žichovice lebten, wo es keine Schule gab, musste ich von zu Hause weg, und mein Vater gab mich nach Silberberg im Bezirk Planice. Dort war der berühmte Pädagoge, der weit und breit bekannte und angesehene Petr Šafránek, mein Lehrer, bei dem ich auch untergebracht war… Er war in jeder Hinsicht ein ausgezeichneter Mensch und Lehrer, dem keiner gleich kam. Obwohl ich arg verwildert zu ihm gekommen war, brachte er es
fertig, dass ich schon nach zweieinhalb Jahren die Prüfung der vierten Klasse an der Hauptschule in Klattau ablegen konnte. Ich war noch keine zehn Jahre alt, als ich meine Gymnasialzeit in Pisek begann. Die zweite, dritte und vierte Klasse besuchte ich am Gymnasium in Klattau, zum Besuch der fünften Klasse kehrte ich wieder nach Pisek zurück, wo ich im Jahre 1865 die Reifeprüfung ablegte.“
Im Unterschied zu Klattau hatte man z. B. die lateinischen Texte am Gymnasium zu Pisek in die tschechische Sprache übersetzt, um deren Beherrschung sich Karl bemühte. Er fühlte sich zum Tschechischen hingezogen und wollte in dieser Sprache perfekt sein. Überhaupt begann er sich schon in Pisek Sprachen zuzuwenden, diese Begabung hatte er wohl von seinem Vater geerbt; so lernte er zudem Italienisch und Spanisch.
In seinem Lebenslauf beantwortet Karl Klostermann auch die Frage, wie er in den Böhmerwald gekommen ist, besser gesagt in dessen Herz, in die zentralen Gebiete: „Von meinem zehnten Lebensjahr an verbrachte ich den größeren Teil meiner Ferien bei meinen Verwandten, der Schwester meines Vaters und seinen Brüdern und mit deren Söhnen und Töchtern, die verstreut in dem weiten Bereich der Gemeinde Rehberg lebten, und das bis zum Ende meines Studiums, also vom Jahre 1857 bis zum
Jahre 1870. Am meisten hing ich an meiner Tante… in Ober-Schlösselwald, wo sie einen großen Bauernhof hatte sowie zwölf Kinder… Der jüngste Sohn war im gleichen Alter wie ich. Neben jener Tante hatte ich den ältesten Bruder meines Vaters am allerliebsten, der in Unter-Schlösselwald lebte, in einem Inleute-Haus seines Bruders, der ebenfalls ein großer Bauer war. Dieser Onkel von mir, der beinahe bis zu seinem 80. Lebensjahre als Holzhauer in den Wäldern gearbeitet hatte…, war geistig ungewöhnlich rege und gesprächig und hat mir viel von den früheren Zeiten und Verhältnissen in der Gemeinde und in den Wäldern erzählt. Auf diese Weise erlangte ich einen vollkommenen Einblick in das Leben unserer Berglandbewohner, die… mich als einen der Ihrigen betrachteten und mir völlig vertrauten. Am allerliebsten begleitete ich die Herden, die den ganzen Sommer über in den fürstlichen Wäldern weideten und von besonderen Hirten gehütet wurden. Diese Herden bestanden aus 800 – 1.200 Tieren, größtenteils jungen Rindern, Ochsen, Färsen und Stieren. Gewöhnlich kamen hundert Tiere auf einen Hirten, der pro Tier und Saison einen Gulden erhielt. Ich schloss mich diesen Hirten an, die häufig nahe Verwandte von
mir waren, lebte auf ihre Weise einige Wochen mit ihnen zusammen,… saß und übernachtete mit ihnen in den Stierhütten, so hießen die Blockhütten im Wald. So lernte ich das Leben jener Leute kennen und drang in alle Geheimnisse der Wälder und Filze ein, zu einer Zeit, als weite Bereiche noch mit Urwald bedeckt waren, in dessen Tiefe sich außer Hirten und Förstern kaum jemand verirrte.
Auch später, als ich schon Professor war, verlebte ich beinahe alle Ferien in Rehberg, Unterreichenstein oder in der Nähe von Bergreichenstein und streifte durch die Wälder, die jetzt, nach dem… schrecklichen Orkan vom 26. Oktober 1870 , bedeutend verändert und gelichtet worden waren, was auch einschneidende Veränderungen in den Lebensbedingungen der Einwohnerschaft bewirkte.
Selbst im Winter habe ich oft die höchstgelegenen, unterm Schnee begrabenen Flächen der Gefilde durchquert; denn wenn ich zu Weihnachten und Ostern zu den Eltern zurückkehrte, fuhr ich von Wien nach Passau und ging von dort in zwanzig Gehstunden nach Hause, wobei ich das Grauen von Schneestürmen kennen lernte, von dem mir auch Verwandte
schon viel erzählt haben.“
Die Jahre in Wien (1866 - 1873)
Am 9. Jänner 1866 schrieb sich Karl Klostermann, dem Wunsch des Vaters entsprechend, an der medizinischen Fakultät der Universität Wien ein. Klostermanns Not während der Studienjahre muss zeitweise recht groß gewesen sein. Die finanziellen Zuwendungen seitens der Eltern waren gering und unregelmäßig. In einem Brief (vom 30. März 1867) schreibt er beispielsweise, dass er zu Ostern nicht kommen könne, weil er vom Reisegeld vier Gulden für Hemden ausgeben musste
und nun das Geld für die Fahrkarte nicht mehr reiche. Damit die Mutter von seiner misslichen Lage nichts erfahre, fügte er auf Italienisch an: „Oft ist es so, dass ich einige Tage nichts zu essen habe, nicht einmal ein Stückchen Brot.“ Trotz aller Entbehrungen setzte Karl sein Studium fort, er lernte auch Französisch. Einigen wohlhabenderen Kommilitonen erteilte er Privatunterricht in Italienisch und Spanisch, um gelegentliche Einnahmen zu haben. Nach zehnsemestrigem Studium
verschob er allerdings die Ablegung der Rigorosen (Abschlussprüfungen) und unterbrach sein Medizinstudium.
In seiner Autobiografie berichtet er: „Ich entsprach dem Willen meines Vaters, der einen Arzt aus mir machen wollte, obwohl dieses Studium meinen Anlagen und Neigungen weniger zusagte, hauptsächlich deshalb, weil ich durch Kurzsichtigkeit behindert war. Trotzdem hätte ich das Studium abgeschlossen, wenn die materiellen Verhältnisse der Familie es mir ermöglicht hätten. Wir waren zehn Kinder,… und der Vater hatte viele Mühe, um uns zu ernähren, weil er zu allem Überflusse durch eine unglückliche Spekulation um sein Vermögen gekommen war. Noch dazu musste er zu dieser Zeit, als ich das fünfte Jahr absolviert hatte, die Schwester (Anmerkung: es handelte sich um Rosa, spätere Jelinek) aussteuern, die geheiratet hatte. Mein
Vater selbst veranlasste mich dazu, die Rigorosen um ein Jahr aufzuschieben und für diese Zeit die Stelle eines Erziehers anzunehmen, die sich mir in Žamberk (Senftenberg) bei der Familie des Gutsverwalters Kučera bot. Ich fühlte mich damit sehr glücklich und zufrieden…, dass ich zwei Jahre blieb. Danach begab ich mich… nach Wien, in der Absicht, mein Medizinstudium abzuschließen.“ Dort nahm sich des jungen Karl, der aus Senftenberg gebürtige Wiener Medizinprofessor Dr. Eduard Albert an und verschaffte ihm in Wien eine Stelle bei der bekannten Zeitschrift „Wanderer“, welche dort die böhmischen Interessen vertrat. So wurde Karl Journalist, allerdings nur für ein Jahr, da die von Václav Nedoma geleitete Zeitschrift infolge des berüchtigten Börsenkrachs vom 8. Mai 1873 ihr Erscheinen einstellen musste. Er kehrte mit dem Abstandsgeld zurück nach Bergreichenstein. Hier machte er sich Hoffnung auf eine Anstellung in der Redaktion der deutschsprachigen Prager Tageszeitung „Politik“, die für das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Tschechen in Böhmen eintrat. Doch dazu kam es nicht. Denn zu dieser Zeit fügte es sich, dass Französisch als Pflichtfach an den Realschulen eingeführt wurde, aber ein Mangel an Französischlehrern bestand. Der Landesschulinspektor P. Jan Mareš, ein persönlicher Bekannter des Dr. Josef Klostermann, wusste von Karls Vorliebe und Talent für die moderne Philologie und bot dem Stellungslosen durch Vermittlung seines Vaters an, dass er die Stelle eines Supplenten (Ersatzlehrers) an der deutschen Realschule zu Pilsen bekommen könnte. Auf Drängen des Vaters willigte Karl ein und unterrichtete ab dem Jahre 1873 Deutsch und Französisch; so geriet er in die Lehrerlaufbahn, an die er niemals gedacht hatte.
Die Anfangszeit als Supplent in Pilsen war äußerst mühsam. Karl Klostermann stand einmal mehr mittellos da; denn die Anweisung des
Gehalts für einen neuen Supplenten dauerte vier Monate, die zu überbrücken waren. Des Weiteren musste er neben seiner Unterrichtsverpflichtung in der Schule noch studieren, um als Autodidakt die
ihm fehlende Ausbildung und Approbation für den Lehrberuf durch Prüfungen nachzuholen. Am 1. September 1878 wurde er nach erlangter staatlicher Zulassung (vom 4. Dezember 1877) zum verbeamteten
Lehrer für die Fächer Deutsch und Französisch an Realschulen ernannt und nach Ablauf der üblichen dreijährigen Probezeit am 1. September 1881 mit dem Titel eines Professors und einem monatlichen
Gehalt von 50 Gulden (was relativ wenig war) definitiv übernommen.
Im Jahre 1875 hatte Karl Klostermann Marie Carmine, die Tochter eines kaiserlichen Rates und Zollverwalters in Pilsen geheiratet.
Im selben Jahr verstarb sein Vater, der zwar ein angesehener Arzt, jedoch ohne Vermögen und Pensionsansprüche war; auf die Familie in Bergreichenstein kamen harte Zeiten zu. Die Mutter war nun
allein und musste sich abplagen, um die vielköpfige Familie zu versorgen. Karl hatte sich kein Vermögen erheiratet. Um als Supplent mit 30 Gulden Monatsgehalt die große Familie zu unterstützen,
erteilte er zusätzlich Französischunterricht in Schulen, Familien sowie in seiner eigenen Wohnung. Nach dem Tod des Vaters hatte er sofort seinen jüngsten Bruder, den dreizehnjährigen Jakob, zu
sich nach Pilsen geholt und bestritt bis zu dessen Eintritt ins Priesterseminar den Lebensunterhalt; als später noch sein Bruder Franz verstarb, nahm er dessen verwaiste Tochter Friederike in
seinem Haushalt auf.
Für schriftstellerische Betätigung blieb wenig Zeit, was wohl die Ursache für den relativ späten Beginn von Klostermanns
literarischem Schaffen war. Dieses nahm bekanntlich mit dem Erscheinen einer Serie von Feuilletons in der deutschsprachigen Zeitung „Politik“ 1885 seinen Anfang. Darüber berichtet Karl
Klostermann in seiner Lebensbeschreibung selbst: „Zur Literatur bin ich völlig unverhofft gekommen. 1884 besuchte ich einmal meinen früheren Chef V. Nedoma, der damals Chefredakteur der ‚Politik’
war. Der forderte mich auf, ihm etwas für den Unterhaltungsteil zu schreiben, und ich schickte daraufhin der Redaktion ein paar Feuilletons, aus denen… sich eine ganze Serie entwickelte, mit dem
Titel ‚Heiteres und Trauriges aus dem Böhmerwald’; dann eine Reihe anderer…“
Die erste dieser deutsch geschriebenen, mit dem Pseudonym „Faustin“ (dem zweiten Taufnamen Klostermanns) unterzeichneten
Erzählungen aus dem Böhmerwald erschien im Mai 1885; es gab 32 Fortsetzungen. Die Feuilleton-Serie stieß auf reges Interesse und verhalf dem Autor zu Ansehen. Auf zahlreiche Bitten hin gab er
dann 1890 im Selbstverlag 16 dieser Reiseberichte unter dem Titel „Böhmerwaldskizzen“ als Buch heraus, für das der erhoffte Absatz ausblieb. Noch im selben Jahr folgte er der Bitte des
befreundeten tschechischen Verlegers der Zeitschrift „Osvěta“, Václav Vlček, ihm für seine Zeitschrift eine Böhmerwalderzählung auf Tschechisch zu schreiben. Also verfasste Klostermann, der
Tschechisch perfekt beherrschte, seine erste umfangreichere Geschichte in tschechischer Sprache, nämlich „Rychtářův syn“ („Der Sohn des Freirichters“), die 1891 in „Osvěta“ erschien und auf
Anhieb großen Erfolg hatte. Davon ermutigt, lieferte Klostermann noch 1891 seinen ersten Roman „Ze světa lesních samot“ („Aus der Welt der Waldeinsamkeiten“) für „Osvěta“; die Buchausgabe dieses
mit dem Jahrespreis der Tschechischen Akademie ausgezeichneten Werkes übernahm der Prager Verlag J. R. Vilímek, der Klostermann darüber hinaus anbot, alle Werke, die er noch schreiben werde, zu
verlegen. Der Dichter akzeptierte und verfasste weitere 13 Romane in tschechischer Sprache, insgesamt also 14, von denen bislang fünf in deutscher Übersetzung vorliegen. (Vgl. 2. Das literarische
Werk!)
Zwar erschienen auch noch weiterhin gern gelesene, deutsch geschriebene Geschichten aus dem Böhmerwald (zwischen 1885 und 1907
über 150) in der deutschsprachigen Zeitung „Politik“, doch hauptsächlich veröffentlichte Klostermann nunmehr in tschechischer Sprache. Die damit verbundenen sichtlichen schriftstellerischen
Erfolge und zusätzlichen Einnahmen, die der Autor dringend benötigte, sowie seine Hinneigung zum Tschechentum (er nannte sich „mit ganzer Seele dem tschechischen Volke zugetan“), brachten ihm
Missgunst und Missfallen mancher „stramm deutsch-national“ gesinnter Kollegen bzw. Zeitgenossen ein. Klostermann wurde verübelt, dass er, aus dem Böhmerwald und von einer deutschen Familie
stammend, als Schriftsteller der tschechischen Sprache den Vorzug gab; man trieb es so weit, ihn als „Überläufer“, ja gar als „Verräter“ zu bezeichnen. In seiner autobiografischen Skizze nimmt
Klostermann wie folgt Stellung: „Und zwar soll ich deutsch zu schreiben begonnen haben und erst, als ich bei den Deutschen keinen Erfolg hatte, hätte ich mich gewendet und der tschechischen
Literatur zugewandt. Das ist Unsinn! Außer den Feuilletons für die ‚Politik’, von denen ein kleiner Teil zu den ‚Böhmerwaldskizzen’ zusammengefasst wurde, habe ich überhaupt nichts deutsch
geschrieben, noch weniger habe ich mich um Ansehen in der deutschen Literatur bzw. um die Gunst des deutschen Publikums bemüht.“
Die größten Schwierigkeiten entstanden Klostermann im Zusammenhang mit dem zweiten preisgekrönten Roman „Za štěstím“ („Dem Glück
hinterher“), in welchem er das Schicksal von Tschechen schildert, die in Wien ihr Glück versuchten. Der deutsch-nationale Landesschulrat, sein oberster Dienstvorgesetzter, erteilte ihm bezüglich
dieses Romans einen verschärften Verweis mit der Androhung noch strengerer Bestrafung für den Fall, dass sich etwas Derartiges wiederholen würde. Dem Autor wurde vorgeworfen, mit diesem Buch
nationale Intoleranz zu verbreiten. Klostermann legte Widerspruch ein, erläuterte ausführlich seine Beweggründe, widerlegte die Anschuldigungen, verwahrte sich gegen das amtliche Vorgehen mit dem
Hinweis darauf, keine Möglichkeit erhalten zu haben, sich gegen die Vorwürfe zu verteidigen. Zum Schluss erwähnte er, für eben diesen Roman den mit 200 Gulden dotierten Preis der Böhmischen
Akademie des Kaisers Franz Josef bekommen zu haben. Auch setzten sich viele einflussreiche Persönlichkeiten für den Schriftsteller ein, unter ihnen Fürst Schwarzenberg, der die Werke Klostermanns
kannte und dem Autor bereits für den Roman „Ze světa lesních samot“ („Aus der Welt der Waldeinsamkeiten“) den Dank abgestattet hatte. Das Disziplinarverfahren wurde im Juli 1896 eingestellt,
allerdings mit der Empfehlung, Klostermann solle sich um einen anderen Dienstort umsehen. Nach eingehendem Überlegen beschloss er, in Pilsen zu bleiben.
Dieser Vorfall war nicht der einzige. Die deutsch-nationalen Widersacher versuchten, den Schriftsteller von öffentlichen
Auftritten vor tschechischem Publikum abzuhalten. Trotzdem übernahm er am 21. November 1897 wiederum einen Vortrag im Saal des Topografischen Vereins zu Pilsen mit dem Thema „Über die Menschen im
Böhmerwald und deren wirtschaftliche Verhältnisse“. Erneut war es der Landesschulrat, der ihn beobachten ließ und ihm das Befremden über die Nichtbeachtung der Dienst- und Sorgfaltspflicht
aussprach.
Doch alle Behinderungen und Demütigungen konnten nichts daran ändern, dass Karl Klostermann zunehmend in den Vordergrund des
tschechischen literarischen Schaffens sowie des kulturellen und politischen Geschehens rückte. Er war langjähriges Mitglied der Gemeindevertretung, des Stadtrates und patriotischer Vereinigungen
(Bürger-Verein, Literatur-Verein); er war Vorsitzender der Volksbildungsvereinigung, Ehrenbürger der Städte Pilsen, Štěken, Schüttenhofen.
Er engagierte sich für ein positives Verhältnis der Menschen gegenüber der Pflanzen- und Tierwelt, machte Vorschläge zum Schutze
der Natur und fasste seine Bestrebungen im Jahre 1919 in einem besonderen Traktat zusammen, das den Titel „Kulturní naléhavost“ („Ein dringliches kulturelles Anliegen“) trug und in dem der Satz
zu finden ist: „Jemand, der Tiere quält, wird auch kein Mitgefühl für einen gequälten Menschen haben.“ Ausdrücklich plädierte er darin auch für die Ausweitung des Urwaldreservats Kubani zu einem
großflächigen Böhmerwald-Nationalpark nach dem Vorbild des amerikanischen Yellowstone.
Auch von tschechischer Seite blieben kritische Stimmen nicht aus. Man verwunderte sich, dass die handelnden Personen in
Klostermanns Schriften fast durchwegs Böhmerwäldler deutscher Nationalität seien. Klostermann aber vertrat unbeirrt, von Anfang an, eine integrierende Haltung, war und warb stets für die
friedliche Koexistenz von Deutschen und Tschechen im Lande Böhmen, gemäß seinem Motto, das in jenem bekannt gewordenen „offenen Brief an die löbliche Gemeindevertretung der königlich freien
Goldbergstadt Bergreichenstein“ prägnant formuliert ist: „Ich vermag es sehr wohl, die Liebe zu beiden Stämmen, die mein böhmisches Vaterland bewohnen, in meinem Herzen zu vereinigen; und Ihre
Väter haben das auch vermocht“78.
Am 6. Januar 1898 endete Karl Klostermanns erste Ehe mit dem Tod seiner Gemahlin. Am 19. Juli desselben Jahres vermählte er sich
ein zweites Mal, und zwar mit Betty Dostal, der Witwe des Fabrikanten Juránek. Mit dieser Heirat verbesserten sich seine Vermögensverhältnisse; er hörte auf, Privatstunden zu geben und hatte nun
mehr Zeit fürs Schreiben.
Nach 35 Dienstjahren ging Karl Klostermann 1908 in Pension. Diesen letzten Lebensabschnitt verbrachte er in Pilsen und, während der Sommerzeit, auf Schloss Štěken bei Strakonitz. Hier hatte sein Tag einen fest geregelten Ablauf. Um halb sechs Uhr stand er auf und schrieb bis zum Frühstück. Dann legte er sich eine Patience und setzte den ganzen Vormittag über das Schreiben fort. Nach dem Mittagessen begab er sich an die Wottawa oder an einen Teich zum Angeln. Er badete oft.
1911 nahm der Dichter an einem Begräbnis in Schüttenhofen teil und fühlte auf dem Weg zum Friedhof eine Schwäche, er vermochte nicht durchzuatmen. Von einer Lungenentzündung im Jahre 1916 erholte er sich nur langsam. 1919 bekam er erneut Lungenbeschwerden, litt an Hustenanfällen, blieb aber weiterhin leidenschaftlicher Raucher.
Das Gehen bereitete ihm nun Mühe, zu Fuß verließ er die Wohnung nicht mehr. Trotzdem arbeitete er fleißig weiter, schrieb vormittags und nachmittags, solange Tageslicht war. Abends lasen ihm seine Frau oder zu Besuch weilende Studenten vor.
Während der Krankheitsjahre von Karl Klostermann erwies sich Fürst Alfred Windischgraetz als sehr zuvorkommend; er räumte dem Schriftsteller in der schon seit längerem angebotenen Sommerwohnung im Erdgeschoss von Schloss Štěken ab 1919 sogar ein Wohnrecht auf Lebenszeit ein. Man konnte dort den Kranken im Rollstuhl leicht in den Park bringen.
So weilte Klostermann auch 1923 wieder seit Mai in Štěken, wo es ihm besser ging und ihn der Gutsarzt Dr. Vanata betreute. Am Abend des 15. Juli rauchte der Dichter noch eine Zigarette, trank Milch und schlief gegen zehn Uhr ein. Am nächsten Tag um neun kamen der Arzt und Karls Jugendfreund Albert Kerber; dieser machte die Gattin Klostermanns aufmerksam, dass Karl noch schlafe. Vor ein Uhr mittags erwachte der Kranke und fragte: „Wer ist da?“ Seine Frau antwortete: „Zdenka, Bertl (Albert Kerber).“ Am 16. Juli 1923 um 13 Uhr verstarb Karl Klostermann.
Die Stadt Pilsen richtete dem Schriftsteller, der von Štěken feierlich nach Pilsen übergeführt wurde, am 20. Juli 1923 am Wenzelsfriedhof ein Ehrenbegräbnis erster Klasse aus. Schriftstellerfreunde, Vereine und Gönner waren von nah und fern gekommen. An Karl Klostermanns Grab im Ehrenbereich des Friedhofs steht ein mächtiger Granitblock aus dem Böhmerwald mit Inschrift und Relief.
Karl Klostermann zählt mit den über 300, in 35 Bänden zusammengefassten Einzeltiteln seines Werkes (Romane, Novellen, Erzählungen, Reisebeschreibungen, Memoiren) zu den produktivsten Autoren, zu den Klassikern der tschechischen
Literatur. Er erhielt als „Dichter des Böhmerwaldes“ einen festen Platz in jeder tschechischen Literaturgeschichte. Ihm wurde Anerkennung und ehrendes Gedenken über den Tod hinaus zuteil, beispielsweise in Form von Klostermann-Gedenktafeln, Klostermann-Straßen bzw. -Plätzen, Klostermann-Räumen in Museen u. dgl. m. Es entstanden Klostermann-Vereinigungen
nicht nur in der Tschechischen Republik sondern nach der politischen Wende und Öffnung der Grenzen auch auf bayerischer Seite. Hingewiesen sei auf den „Verein Karl Klostermann - Dichter des Böhmerwaldes e.V.“ mit Sitz in Grafenau.